ARCH+ features 63: Public or Private?
Lassen sich Privates und Öffentliches auf neue Weise verbinden? Wie könnte eine Architektur konkret aussehen, die das gemeinschaftliche Zusammenleben fördert? Dieser und weiterer Fragen widmete sich die 63. ARCH+ features im Vitra Schaudepot. Marc Zehntner, Direktor des Vitra Design Museums, leitete die Veranstaltung ein.
Peter Strobel, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Siedle, sprach über das Engagement des Unternehmens als Förderer und aktiv an der Ausstellung Beteiligter. Bei der Entwicklung einer Produktstudie für ein Mehrgenerationenhaus mit Gemeinschaftszonen habe Siedle neue Erfahrungen machen können, so Strobel. Besonders mit Blick auf den architektonischen Diskurs seien diese Erfahrungen für Siedle wertvoll: „Wenn wir den Anspruch haben, Partner der Architekten zu sein, sollten wir wissen, wohin sich die Disziplin entwickelt – und das gemeinschaftliche Wohnen scheint uns einer der Wege zu sein, die diese Disziplin beschreiten wird.“
Der architektonische Vordenker Pier Vittorio Aureli, Mitgründer des Stadtplanungsbüros und Think Tanks „Dogma“, hat sich intensiv mit der Wohnungsfrage jenseits traditioneller Wohn- und Eigentumsverhältnisse auseinandersetzt. Aureli machte deutlich, dass er das Haus als Ort der Produktion versteht. Ein Haus, so seine These, produziere nichts anderes als das häusliche Leben, präge und bestimme eine soziale Struktur. Indem er auf die Unterscheidung von „labor“ und „work“ zurückgriff, wie sie Hannah Arendt mit Blick auf die menschlichen Grundtätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln getroffen hat, fragte er unter anderem: Weshalb muss sich das Haus überhaupt derart abgrenzen? Weshalb wird die Familie nach wie vor als Mikrokosmos angesehen, der getrennt von allem anderen existiert?
Im Folgenden erläuterte Aureli am Beispiel einer „Villa Suburbana“ und einer „Villa Urbana“, die er 2015 für je rund 50 Künstlerinnen und Künstler entwickelt hat, wie alternatives Wohnen jenseits der Kleinfamilie aussehen könnte – beispielsweise mit „bewohnbaren Wänden“, mittels derer Raum für Gemeinschaftsbereiche geschaffen werden könne. Als Vorbild für gemeinschaftliches Wohnen tauge das Studio eines Künstlers deshalb, weil in ihm, so Aureli, die Unterscheidung von „labor“ und „work“ aufgehoben sei. Damit kollektive Wohnformen gelingen könnten, müssten vor allem drei Kriterien erfüllt werden: Erstens sollte es sich um ein Modell kollektiven Eigentums handeln, zweitens sollten die Baukosten reduziert, und drittens Baugrund für Non-Profit-Bauvorhaben von Kommunen für 70 bis 100 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt werden.
Andreas Ruby, der noch einmal die Bedeutung des Gebrauchswerts der Architektur hervorhob, betonte, heute würden nicht nur zu viele „shitty spaces“ für sehr viel Geld angeboten, wir alle nähmen das auch hin. Da der Nutzer im Verhältnis von Architekt und Bauherr faktisch einem „missing link“ gleiche, sei nun zu fragen, wie sich der Nutzer architektonisch „materialisieren“ lasse. In der Entwicklung kollektiver Wohnformen liege eine phantastische Chance für die Architektur.
(Alle Fotos: Bettina Matthiessen)
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